Digitalisierung in Schulen – Forschungsprojekt GuTe DigiSchulen NRW zeigt wie es geht

Unser Interview mit Prof.’in Dr.’in Julia Gerick über Digitalisierung in Schulen. Das Forschungsprojekt GuTe DigiSchulen NRW (Gelingensbedingungen und Transfer von erfolgreichen Digitalisierungsprozessen an Schulen in Nordrhein-Westfalen) verfolgt das Ziel gelingende digitale Schulentwicklung sichtbar und die Ergebnisse für die Praxis nutzbar zu machen. Alena Seegenschmiedt von Edkimo fragt nach. Die wissenschaftliche Leitung Prof.’in Dr.’in Julia Gerick erklärt uns, welche digitalisierungsbezogenen Prozesse in Schulen schon funktionieren.

Über das Forschungsprojekt

Ausgangspunkt des Forschungsprojekts sind die Ergebnisse der ‚International Computer and Information Literacy Study‘ (ICILS 2018) dar, an der NRW als Bundesland erstmals eigenständig beteiligt war. Zwar war das Gesamtergebnis der Schulen in NRW eher mittelmäßig. Jedoch haben sich einzelne von ihnen mit besonders hohen computer- und informationsbezogene Kompetenzen der Schüler*innen hervorgetan. Auch gab es Schulen, die in den letzten Jahren in besonderem Maße digitalisierungsbezogene Schulentwicklungsprozesse vorangebracht haben. Ebendiese Schulen werden bei GuTe DigiSchulen NRW genauer untersucht. Finanziert wurde das Forschungsprojekt vom Ministerium für Schule und Bildung (MSB) in Nordrhein-Westfalen (NRW) und lief unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof.’in Dr.’in Julia Gerick (TU Braunschweig).

Julia Gerick. © Foto: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Prof.’in Dr.’in Julia Gerick ist seit 2020 Professorin für Schulpädagogik an der TU Braunschweig. Forschungsschwerpunkte:

  • Schulentwicklungsforschung und Schulqualität
  • Digitale Medien in Schule und Unterricht
  • Lehrkräftegesundheit, Schulleitung
  • Schulleistungsstudien

Foto © Kristina Rottig/TU Braunschweig

Wie gelingt Digitalisierung in Schulen

Edkimo: Hallo Julia, schön, dass wir die Zeit finden über die Studie und Handreichung GuTe DigiSchulen NRW zu reden. Herzlich Willkommen. Wenn ich nun die Ziele der Studie GuTe DigiSchulen NRW zusammenfassen würde, dann war das erste Ziel, das Sichtbarmachen von erfolgreichen schulischen Entwicklungsprozessen und deren Gelingensbedingungen bezüglich der Digitalisierung an Schulen der Sekundarstufe I in NRW. Das zweite Ziel war, Erfahrungen dieser Schulen transferierbar und damit für alle Schulen in NRW nutzbar zu machen. Können wir das so stehen lassen?

Julia Gerick: Ja, das trifft es sehr gut. Wir haben ja in Deutschland oft die Sichtweise, zu schauen, was noch nicht so gut funktioniert und dann da nachzusteuern. Das wollten wir in dem Forschungsprojekt anders machen. Es gibt ja viele Schulen in Nordrhein-Westfalen, die sich in Sachen Digitalisierung sehr erfolgreich auf den Weg gemacht haben, was sich aber in quantitativen Studien über Mittelwerte so nicht abbildet. Daher die Idee, vertiefend in diese Schulen zu gehen, mit einer qualitativen Brille zu schauen, von den Schulen zu lernen und dann zu überlegen, was andere Schulen von den erfolgreichen digitalisierungsbezogenen Schulentwicklungsprozessen lernen können und auf ihre Kontexte übertragen können.

Handlungsspielräume gemeinsam ausgestalten

Edkimo: Gab es überraschende Erkenntnisse? Und könntest du uns da ein Beispiel nennen oder einen konkreten Fall, der eine gelingende Digitalisierung in Schulen sehr deutlich macht?

Julia Gerick: Ja, es gibt tatsächlich ein übergeordnetes Ergebnis, das vielleicht beim zweiten Hinsehen durchaus erwartbar gewesen wäre, das wir aber in der Deutlichkeit nicht unbedingt erwartet hätten: Gute ‚digitale‘ Schulen, sind Schulen, die ihren Handlungsspielraum auf der Prozessebene der Schulentwicklung gut nutzen und in allen Bereichen gestalten. Unsere Ergebnisse sind damit sehr anschlussfähig an bisheriges Wissen aus der Schulentwicklungsforschung. Jedoch konnten wir nicht nur die Bandbreite der Erfolgsbedingungen abstecken, sondern für den Bereich ‚Digitalisierung‘ entlang der Prozesse in den Projektschulen auch sehr in die Tiefe gehen.

Edkimo: Wenn dich heute eine Schulleitung anriefe und nach einer Empfehlung fragte, welche würdest du geben?

Julia Gerick: Oh, das ist natürlich für eine Wissenschaftlerin keine einfache Frage, weil es oftmals das Zusammenspiel verschiedener Faktoren ist, auf das es ankommt. Und das, was in einer Schule einen Schwerpunkt in den anstehenden Entwicklungen ist, kann in einer anderen Schule entweder ‚ein alter Hut‘ sein oder ein Prozess, der noch in weiter Ferne liegt. Daraus kann man jedoch eine Antwort ableiten. Wichtig ist, dass die Schulen a) herausfinden wo sie im Entwicklungsprozess stehen und b) gemeinsam ein Zukunftsbild vom Lehren und Lernen in der digitalen Welt an ihrer Schule entwickeln. Diese Zukunftsvision für die eigene Schule sollte dann die Basis für die gemeinsame Arbeit sein. Daran knüpfen die Faktoren, die wir im GuTe-DigiSchulen-NRW-Projekt herausgearbeitet haben an und geben Hinweise, in welchen Bereichen der schulischen Arbeit es sich besonders lohnt, zu investieren.

Expertise nutzen, Kooperationen stärken, Didaktik weiterdenken

Edkimo: Was würdest du einer Fachlehrkraft raten?

Julia Gerick: Mein erster Gedanke ist hier natürlich, die Rückfrage: über welche Schulstufe reden wir? Lehrkräfte an Primarschulen haben einen anderen fachlichen Kontext als diejenigen an weiterführenden Schulen.
Blicken wir jetzt, wie im GuTe-DigiSchulen-NRW-Projekt auf die Sekundarstufe I, dann wäre meine Antwort ganz klar: Nutzt die Expertise in den eigenen Fachschaften, um gemeinsam Unterricht und schulisches Lernen zukunftsfähig zu entwickeln. Lehrkräftekooperation, fach- und unterrichtsbezogen, ist auch bzw. gerade in der ‚digitalen‘ Welt ein ganz wichtiger Faktor. Hinzukommt natürlich die Idee, die digitalen Möglichkeiten für diese Zusammenarbeit zu nutzen. Daraus können neue Impulse, Motivation und Entlastung erwachsen.

Edkimo: Was würdest du den mit der IT betrauten Personen und den didaktischen Leitungen raten?

Julia Gerick: Das sind zwei ganz unterschiedliche Perspektiven. Für die Personen, die sich um die IT kümmern, ist es wichtig, dass sie Lehrkräfte von den technischen Dingen entlasten. Das hieße im Idealfall, dass sie nicht nur technische Probleme lösen, sondern auch neuere Entwicklungen für die Schule erproben. Und spätestens bei diesem Gedankengang wird klar, dass das nicht im luftleeren Raum passieren kann. Das Zauberwort heißt auch hier Kooperation. Die Verzahnung von Technik und Pädagogik muss in den Schulen gelebt werden. Die didaktische Perspektive kann daran anknüpfend auch weitergedacht werden. Wir wissen auch aus vielen anderen Studien, dass der pädagogische Support des Lernens in der digitalen Welt mindestens genauso wichtig wie technischer Support ist. Didaktik gestalten und weiterdenken heißt hier, ein gemeinsames Verständnis vom Lehren und Lernen in der digitalen Welt in einer Schule zu entwickeln und dann mit Leben und Beispielen zu füllen.

Perspektive von Kindern, Jugendlichen und Erziehungsberechtigten

Edkimo: Welche Aufgabe siehst du von Seiten der Schule bezüglich der Einbeziehung der Erziehungsberechtigten?

Julia Gerick: Erziehungsberechtigte sind ein wichtiger Kooperationspartner für Schulen und können auch Ressourcen sein. Damit meine ich gar nicht finanzieller Art. Aber sie als Partner mitzudenken, Wege zu suchen, sie einzubeziehen, ihnen vielleicht auch den schulischen Ansatz zum Lernen in der digitalen Welt zu erklären und hier ihre Perspektiven, Hoffnungen und Befürchtungen einzubeziehen, erscheinen als wichtige Ansatzpunkte.

Edkimo: Welche Aufgabe siehst du von Seiten der Schule bezüglich der Einbeziehung der Schüler*innen?

Julia Gerick: Ein ganz wichtiger Punkt. Viel zu häufig wird die Perspektive der Kinder und Jugendlichen übersehen, nicht mitgedacht oder einbezogen. Klug sind diejenigen Schulen, die Schüler*innen in die Schulentwicklungsprozesse einbeziehen.
Wie blicken sie auf ihr schulisches Lernen in der digitalen Welt? Wie blicken sie auf ihre Zukunft und auf die Zukunft der Gesellschaft? Welche Wünsche tragen sie an die Schule heran? Wie und mit welcher Expertise können sie sich einbringen? Welche unterschiedlichen Voraussetzungen bringen sie mit und welche Anforderungen ergeben sich daraus für die Schaffung chancengerechter schulischer Lernbedingungen in der digitalen Welt?

Edkimo: Sehr schön, daran wird sich die eine oder der andere Lesende sicher orientieren können! Danke!

Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Schulen

Edkimo: Inwiefern sind die Erkenntnisse aus dem Projekt GuTe DigiSchulen NRW überhaupt auf andere Schulen in NRW übertragbar?

Julia Gerick: Eine wichtige Erkenntnis der Schulentwicklungsforschung ist, dass Erkenntnisse aus einer Schule nie 1:1 auf andere Schulen übertragbar sind. Das heißt aber nicht, dass man nicht voneinander lernen kann. Daher bin ich mir sicher, dass alle Schulen auf ihre Weise und mit ihrer Perspektive durchaus von den Ergebnissen profitieren können. Das kann auch Zeit und Arbeit sparen. Man fängt nicht bei Null an und kann sich an Erkenntnissen und Beispielen orientieren.

Edkimo: Letztendlich würde ich gerne auch einen Blick auf die laufende ICILS Studie richten. Hat sich denn seit der letzten ICILS Studie 2018 überhaupt etwas in den Schulen getan oder hätte es da vorher schon die GuTe DigiSchulen NRW Studie und die Handreichung gebraucht? Kommt die Handreichung zu spät für den jetzigen Turnus?

Julia Gerick: Im Bereich der schulischen Bildung hat sich sicherlich einiges in den letzten Jahren getan. Wir haben seit 2019 den DigitalPakt Schule, wir haben die 2020er Ländervereinbarung zur Struktur des Schulwesens in Deutschland, die erstmalig auch das Lehren und Lernen in der digitalen Welt umfasst. Die KMK hat 2021 das wichtige Ergänzungspapier zum ‚Lehren und Lernen in der digitalen Welt‘ auf den Weg gebracht. Seit Frühjahr diesen Jahres entstehen deutschlandweit Kompetenzzentren für digitale Lehrkräftebildung. Unsere Handreichung aus GuTe DigiSchulen NRW setzt irgendwo dazwischen an. Das Besondere ist, dass sie sich direkt an die Schulen richtet. Schulen können damit arbeiten und finden viel Konkretes. Damit könnte man sagen, dass sie das Bild, das sich aus den Entwicklungen der letzten Jahre ergibt, ergänzt. Ob dann am Ende tatsächlich auch etwas bei den Schüler*innen in Deutschland angekommen ist, wird vor allem die neue 2023er ICILS-Studie zeigen. Hier gibt es die Ergebnisse im Jahr 2024. Darauf dürfen wir sehr gespannt sein.

Edkimo: Super, vielen Dank liebe Julia! Dann wünschen wir von Edkimo weiterhin viel Spaß in der Forschung. Deine Arbeit ist schließlich zukunfts- bzw. gegenwartsrelevant! Danke für deinen Einsatz und danke für das Gespräch!

Julia Gerick: Vielen Dank für das Gespräch und die interessanten Fragen.

Das Interview führte Alena Seegenschmiedt von Edkimo.

ICILS & Edkimo

Ausgangspunkt des Forschungsprojekts waren die Ergebnisse der ‚International Computer and Information Literacy Study‘ (ICILS 2018), an der NRW als Bundesland erstmals eigenständig beteiligt war. Die internationale Studie ICILS (International Computer and Information Literacy Study) erfasst in den teilnehmenden Ländern regelmäßig die Computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Schüler*innen in der 8. Jahrgangsstufe. Deutschland hat bereits an den Studien ICILS 2013 und ICILS 2018 teilgenommen und nimmt auch an der Studie ICILS 2023 teil. Eine Transferbroschüre zu der Studie ICILS 2018 stellen Amelie Labusch, Birgit Eickelmann und Daniela Conze als Instrument für die Unterstützung von digitalisierungsbezogenen Schulentwicklungsprozessen zur Verfügung. In Zusammenarbeit mit QUA-LiS NRW hat Edkimo die bereitgestellten Selbstevaluationsbogen (a.a.O. S. 95-130) in der Vorlagen-Bibliothek online als OER zur Verfügung gestellt. Hier geht es zur Übersicht der kostenlosen OER Vorlagen.

Zum Nachlesen und Weiterdenken:

Abschlussbericht zum Forschungsprojekt



Gerick, J., Eickelmann, B., Panten, B., Rothärmel, Rau, M., A. & Gottschalk, T. (2023). Abschlussbericht zum Forschungsprojekt ‚Gelingensbedingungen und Transfer von erfolgreichen Digitalisierungsprozessen an Schulen in Nordrhein-Westfalen‘ (‚GuTe DigiSchulen NRW‘). TU Braunschweig/Universität Paderborn.

Handreichung für die schulische Arbeit


Gerick, J., Eickelmann, B., Rau, M., Panten, B., Rothärmel, A. & Gottschalk, T. (2023). Digitalisierungsbezogene Schulentwicklungsprozesse erfolgreich gestalten. Handreichung für die schulische Arbeit zu den Ergebnissen des Forschungsprojekts ‚GuTe DigiSchulen NRW‘. TU Braunschweig. 

ICILS Vorlagen in der Edkimo Bibliothek



In Zusammenarbeit mit QUA-LiS NRW hat Edkimo ausgewählte ICILS Selbstevaluationsbogen in der Vorlagen-Bibliothek online als OER zur Verfügung gestellt.